Skizzen – Linien zu Formen, Jochen Stankowski 1988

Lieber Jochen,
Allmählich setzt die Wirkung Deiner Bilder ein. Gestern, beim Entwurf meines Paravents begann die Hand mit dem Pinsel zu stocken, zu überlegen:
gerade oder krumm, von oben oder unten?
Täglich ein Besucher, der bei der Eröffnung verschlafen hatte. Matinee-Zeiten sind offensichtlich bei unserem Berliner Publikum nicht drin.
Zumeist wird der Ablauf gelesen, dann ein Lieblingszeichen wie bei einem Rate-Spiel ausgewählt und mit dem Finger drauf getippt: Das gefällt mir.
Die hängenden Bücher werden wie Pflichtlektüre angeblättert. Ich habe sie deswegen reduziert auf Punkt, Pfeil und Gegensätze.
Anbei erste Schnappschüsse. Die bestellten Aufnahmen sind noch in der Entwicklung.
Heute kam “Superkatalog” aus Düsseldorf. Tausend Dank. Es bedarf der besonderen Zeit zu eingehendem Studium dessen.
Bin glücklich mit Deinen Arbeiten hier.
Später mehr dazu

herzlich Heidi

Lieber Jochen,
Virilio schreibt heute über Dein Skizzenbuch:
“Merci pour l’Abécédaire énigmatique”.
Ein Verlegerfreund dankt mit dem Wunsch, selber bald von den Buchstaben in ein anderes Reich der Zeichen entfliehen zu können.
Im Frühjahrswind bei offenem Fenster klappern ganz leicht die Hölzer-Bilder an der Wand. Ein warmer Ton passend zu den Vogel-Stimmen.

Brennpunkt Düsseldorf hat eine klare Linie im Graphik-Design des Katalogs. Die Künstler oder ihre Arbeiten zeigen in einem Generalnenner ihre Nähe zu Beuys: Material-Aktion bzw. Objekt-Aktion (stärker in der Aussage als unsere Newcomer).
Der Übergang zur Dingsprache im Design liegt nahe. Damit befasse auch ich mich in Gedanken oder in der Arbeitsorganisation und ihrer entsprechenden Arbeitsplatzgestaltung.
Der Katalog ist sehr inspirierend, auch wenn eigene Wege gesucht werden wollen.

Tausend Dank + Gruß von heute
herzlich Heidi

Lieber Jochen,
Anbei einige Erinnerungsfotos, weiß in weiß gibt es weder bei Kodak noch bei Fuji. Es bedarf eines s/w-Negativs! Die Kataloge finden Anklang wegen des Skizzenbuch-Charakters. Die Buchhändler werden davon noch einige bekommen mit der nächsten Auslieferung des neuen Titels.
Gerne sitzen wir in Deinem neuen Ambiente. Indirekt beginnt die Wirkung davon. Wir werden den Verlag in seiner Arbeitsorganisation umstrukturieren, allzuviel Leitz-Ordner sind bereits um die Hälfte reduziert.
In der Folgezeit reise ich nach London (Designer-Besuch) und Wien (Eröffnungsrede Vernissage), Peter reist nach Siegen (Autorentreff). Ich habe eine andere Frisur (geraden “konstruktivistischen” Pony) + einen neuen Schreibstift (Pen-Art). Jedenfalls tut sich etwas. Leichte Frühlingsaufbruch-Stimmung.
Dieses Schreibpapier ist ein halbiertes Plakat, wie Du Dich vielleicht noch erinnerst.
Die Striche-Arbeit zieht die Augen am meisten an.
Das Punkt-Heft erzeugt freudige Lacher, wie schön leicht!

So weit für heute. Irgendwie nehmen die Arbeiten mir die Anstrengung und den Krampf und geben die ruhige Klarheit, mit der auch alles getan werden kann.
“Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.”

herzlich Heidi

Skizzen – Linien zu Formen, Frühjahr 1988

Jochen Stankowski im Gespräch mit Christof Windgätter 2012

aus: Christof Windgätter (Hg.):
Verpackungen des Wissens. Materialität und Markenbildung in den Wissenschaften.
Heft 2/2012: Maske und Kothurn.
Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Wien (Böhlau)

Korrespondenz freundlicherweise von JS
2010 zur Verfügung gestellt